Lagerpotential ungleich Reifepotential
Eine Frage, die immer wieder gestellt wird: «wie lange kann ich diesen Wein lagern?». Ich bin sicher, Du hast diese Frage im Weinfachhandel oder beim Winzer schon gestellt. Zumindest werde ich persönlich mit dieser Frage immer wieder konfrontiert. Dabei ist diese Frage falsch formuliert! Zielführender wäre, «wird der Wein mit der Lagerung besser und kann er sich positiv entwickeln?».
Reifepotential ungleich Lagerpotential
Ich beurteile Weine immer aufgrund des Reifepotentials und nicht über das Lagerpotential, denn Lagern kannst Du alle Weine ca. 5 Jahre ohne Qualitätseinbusse. Ausnahmen sind Weine, die sehr fruchtbetont, in der Aromen Komplexität aber eher auf der einfacheren Seite sich bewegen und in der Regel im Stahltank ausgebaut wurden. Bei diesen Weinen können sich die Aromen bereits nach 2-3 Jahren etwas verflachen. Weiter musst Du wissen, dass nur ein Bruchteil aller Weine (vielleicht ein Prozent) wirkliches Reifepotential haben. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass alle anderen Weine bereits bei sofortigem Konsum höchsten Trinkgenuss bieten. Bei vielen Weinen findet im Übrigen dieser Reifeprozess, in dem der Wein zulegt, noch beim Winzer statt. Ein Brunello aus Italien oder ein Gran Reserva aus Spanien beispielsweise kommen erst nach 4-5 Jahren Reife beim Winzer auf den Markt. Wobei bei diesen beiden Beispielen dies sogar über die geschützten Ursprungsbezeichnungen vorgeschrieben ist. Es gibt aber immer mehr Winzer, die ihre Weine 1-3 Jahre ohne Vorgaben zurückhalten. In der Regel sind die Weine also ausgereift und somit trinkreif! Weiter heißt das, dass alle Ratschläge um Weinlagerung, wie z.B. die richtige Luftfeuchtigkeit, die richtige Lagertemperatur, keine Vibrationen usw. nur für einen kleinen Teil der Weine sinnvoll sind. Natürlich sollten auch die trinkfertigen Weine nicht gerade im Wohnzimmer und bei Tageslicht aufbewahrt werden. Tageslicht schadet einem Wein schnell und 22 Grad im Wohnzimmer sind nicht ideal, weil der Wein zu warm ist, wenn Du ihn öffnest. Du stellst Dir jetzt die Frage, welche Weine jetzt zu diesen wenigen Prozenten gehören? So einfach ist diese Frage nun auch nicht zu beantworten. Und nur die teuren Weine sind es nicht immer, aber oft. Versuchen wir mögliche Antworten zu finden.
Inhaltsstoffe
Zuerst schauen wir mal, was im Wein drin ist. Die Inhaltsstoffe spielen im Reifeprozess eine große Rolle. Nehmen wir zuerst Alkohol und Säure, sie geben dem Wein Stabilität, indem diese Stoffe das Wachstum von Bakterien hemmen oder sie absterben lassen. Der Zucker wiederum kann den Wein konservieren, das kennen wir auch von anderen Lebensmitteln. Auch der Alkohol hilft in der Konservierung eines Weines, wenn er mindestens 12.5 Volumenprozent umfasst. Dann haben wir noch die Gerbstoffe, welche einerseits aus der Traube (Schale, Stil, Kern) kommen und andererseits dem Wein mittels Ausbaumethoden quasi zugefügt wird. Zu den Ausbaumethoden zählen die Maischestandzeiten (sowohl bei Weiss- und Rotweinen) und Holzfassausbau (je neuer und je kleiner das Holzfass, umso effektiver). Gerbstoffe binden den Sauerstoff (das gibt das Depot bei den Weinen), der chemische Prozess dazu wird Polymerisation genannt. Und wenn der Sauerstoff gebunden wird, kann er dem Wein nicht schaden. Sauerstoff ist einer der größten Feinde des Weines generell.
Wann wird der Wein bei der Lagerung besser
Je mehr von diesen Inhaltsstoffen vorhanden sind, je grösser die Chance für Haltbarkeit. Aber Haltbarkeit gibt noch nicht einen besseren Wein. Wann wird ein Wein besser? Du hast sicher schon Rotweine getrunken, die Dir sehr ruppig oder hart vorkamen. Das Tannin bzw. die Gerbstoffe haben Dir dabei nicht gefallen? So ein Wein wird mit den Jahren runder und geschmeidiger, da im Wein immer ein minimaler Anteil Sauerstoff vorhanden ist, der sich mit den harten Gerbstoffen mittels der Polymerisation verbindet. Übrigens, dass der Wein durch den Korken atmet, ist für mich ein Märchen. Der Kork muss luftdicht sein. Der Kork ist aber bei der Lagerung von Weinen mehr Risiko als Freude, je Qualität und Jahren der Lagerung kann er seine Luftdichtheit verlieren und die Weine beginnen zwar langsam, aber sicher zu oxidieren. Ein Kork hält erfahrungsgemäß um die 20 Jahre. Für eine gleichmäßige und stabile Lagerung bin und bleibe ich ein Verfechter von Drehverschlüssen.
Faktor Traubensorte
Nochmals zurück zu den Inhaltsstoffen. Wenn wir Säure und Gerbstoffe als Einflussfaktoren identifizieren, so kommen wir automatisch zum Schluss, dass sich nicht alle Traubensorten für eine längere Reifung eignen. Wir brauchen Traubensorten mit entweder viel Säure oder vielen Gerbstoffen. Oder beidem. Besonders säure- und gerbstoffreich ist Nebbiolo, das erklärt auch direkt, warum ein Barolo in jungen Jahren schwierig zu trinken ist und erst mit vielen Jahren richtiger Lagerung gewinnt. Ähnlich verhält es sich mit Sangiovese, die Sorte, die Du in einem Chianti oder Brunello findest. Weitere gerbstoffreiche Rebsorten sind z.B. Tannat oder auch Cabernet Sauvignon. Letztere ist die meistangebaute Rebsorte der Welt, aus gutem Grund, wenn man diese Eigenschaft hat. Bei den säurebetonten weißen Traubensorten denke ich spontan an Riesling. Neben der hohen Säure, die dem Wein Stabilität gegen Bakterien gibt, kommt hier noch der Umstand dazu, dass Riesling Weine oft mit viel Restzucker ausgebaut werden. Dafür mit einem Alkoholgehalt, der bzgl. dem Reifepotential, eher zu vernachlässigen ist.
Aromen
Kommen wir zu den Aromen. Wir unterscheiden drei grundsätzliche Aromakategorien. Die primären Aromen, welche die Fruchtigkeit der Traube im Wein zeigen. Die sekundären Aromen, die aus dem Keller- oder Ausbauprozess kommen. Hier sind der Kreativität des Winzers kaum Grenzen gesetzt und sein Einfluss ist hier am größten. Die Dritte Komponente sind die sogenannten Tertiäraromen. Diese entstehen teilweise bereits beim Winzer bei langer Reifung im Holzfass oder eben in der Flaschenreifung im eigenen Weinkeller. Dabei reagieren Säure und der Alkohol miteinander, dieser Vorgang wird Veresterung genannt und es können dabei neue Aromen entstehen. Der Wein kann dann nach Schokolade, Honig, Nüssen oder Dörrfrüchten schmecken, was durchaus spannend und angenehm tönt. Ich behaupte aber, viele Aromen in gereiften Weinen gefallen nur wenigen Freaks wirklich. Ich selbst schätze diese Aromen nicht immer gleich, oft wird so ein gereifter Wein dann sehr anstrengend zu trinken. Ich zähle Dir hier ein paar Aromen auf, damit Du besser verstehst, was ich meine mit anstrengend: Leder, Waldboden, Erde, Pilze, Tabak, Bauernhof, feuchtes Laub bei Rotweinen oder Petrol, Ingwer, Toast, nussig, Pilz, Heu, Honig bei Weißweinen.
Fazit
Auf was ich bisher nicht eingegangen bin aber extrem wichtig ist, ist die Qualität des Traubenmaterials und somit auch die Arbeit im Rebberg, die Lage mit ihrem Boden und ihrem Mikroklima. Diese Themen würden den Rahmen des hier Beschriebenen sprengen.
Zusammenfassend ein paar Anmerkungen, wie ich das Thema handhabe.
- Ich probiere jeden Wein, auch wenn er noch so alt ist und es manchmal Überwindung braucht, bevor ich ihn ausschütte (oder trinke).
- Die meisten Weine trinke ich innert fünf Jahren und sie liegen bei mir im Keller bei ca. durchschnittlich 18 Grad und lichtgeschützt, der Fokus liegt bei diesen Weinen nur bei der Lagerung und Haltbarkeit und nicht bei der Reifung.
- Einige Weine habe ich schon gereift gekauft oder lagern bei mir schon 5 oder mehr Jahre im Weinschrank oder im auswärtigen Weinlager. Das sind Weine, die beim Öffnen zwischen 5 und maximal 20 Jahre alt sind. Diese Weine bereiten oft einen großartigen Genuss durch zusätzliche Aromatik und Geschmeidigkeit, aber es kann auch sein, dass ich den Zenit des Weines verpasst habe.
- Weine, die älter sind als 20 Jahre, habe ich nur wenige und sie sind beim Genuss hochspannend, aber eben oft auch sehr anstrengend. Das Spannendste ist aber immer das Entkorken, welches viel Feingefühl verlangt und oft misslingt (soviel zum Thema Kork vs. Drehverschluss). Übrigens, im Restaurant trägst Du als Gast oft das Risiko, wenn Du einen solchen Wein bestellst. Hier braucht es viel Vertrauen in den Gastgeber für eine positive Überraschung oder einfach Mut im Sinne, «no risk no fun»! Einfacher ist es, solche Weine bei entsprechenden Verkostungen mit mehreren Weinen zu erleben. Dann kann ich unter gleichgesinnten diskutieren und Fokus ist nicht in erster Linie «Wein genießen».
- Und, ich glaube nicht alles, was das Schwärmen von Weinfreaks über Verkostungen von so alten Weinen angeht.
- Nebenbei, die besten alten Weine kommen von den Produzenten bzw. Winzern selbst, also aus erster Hand! Viele alten Weine werden gehandelt und haben in ihrer Geschichte schon mehrmals den Besitzer gewechselt. Eine Garantie für die Qualität gibt es nie, man kann vieles Glauben, die Wahrheit findet sich aber erst im Glas.